Wirtschaftsethik

"Gerade unter dem Eindruck der nur vermeintlich ausgestandenen Krise suchen viele Menschen Orientierung. Hier ist Kirche gefragt."

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Wirtschaftsethik

Lernen aus der Krise

Wort der Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern
zur Wirtschaftsethik, verabschiedet auf der Synodaltagung in Neu-Ulm im November 2010.

„Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voran-schreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen.“
(Jesaja 58, 7-8)

Dieses Wort aus dem Buch des Propheten Jesaja bleibt angesichts der Folgen der Finanzkrise Trost und Auftrag: Trost, weil es uns als Christinnen und Christen Hoffnung für die Zukunft schenkt; Auftrag, weil es uns Orientierung für neues Denken und neues Handeln gibt.

Mit Sorge sehen wir,
• dass die Ursachen der Finanzkrise schon wieder in Vergessenheit geraten.
• dass die Rechnung für die noch nicht ausgestandene Krise vor allem den Schwächsten der
Gesellschaft präsentiert wird, entgegen den Mahnungen nicht nur der Kirchen.
• dass die Politik darauf verzichtet, die erklärte Bereitschaft vieler Wohlhabender zu mehr
Solidarität abzurufen.
• dass der Trend zu befristeten, schlecht bezahlten Beschäftigungsverhältnissen anhält.
• dass auch jetzt - in den Zeiten wirtschaftlicher Erholung - Arbeitsplätze gefährdet sind.
• dass nach wie vor zu viele Menschen zu wenig zum Leben haben, weil Lohn und
Transferleistungen zu niedrig bemessen sind.
• dass das Armutsrisiko auch im reichen Bayern steigt – und besonders Kinder unter
wirtschaftlicher Not leiden.

Im EKD-Wort „Wie ein Riss in einer hohen Mauer“ (2009) heißt es: „Eine freiheitliche
Wirtschaftsordnung wird in ihren Fundamenten beschädigt, wenn der erwirtschaftete Wohlstand nicht zum Motor des sozialen Ausgleichs wird.“ Ähnlich haben die ELKB und ihre Diakonie im Juli 2010 festgestellt, dass „ein soziales Ungleichgewicht eine Hypothek zu Lasten der nachfolgenden Generationen ist.“ Auch die bayerische Verfassung fordert Gerechtigkeit ein: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl, insbesondere der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle und der allmählichen Erhöhung der Lebenshaltung aller Volksschichten.“ (Art.151,1 Bayerische Verfassung).

23.02.2016
ELKB

Wir rufen die Politik dazu auf:
• Die Soziale Marktwirtschaft ist weiter zu entwickeln. Dazu braucht es auch einen neuen Begriff von    Wachstum – nötig ist qualitatives, ökologisch verträgliches Wachstum.
• Maßstab der Politik müssen Gemeinwohl und gerechte Teilhabe aller sein.
• Die sozialen Sicherungssysteme müssen gerade jetzt ihrer Aufgabe gerecht werden, Solidarität zu gewährleisten. Die Folgen der Krise dürfen nicht vornehmlich durch den Abbau von Sozialleistungen und einseitig steigende Belastungen der Arbeitnehmer kompensiert werden.
• Staat und Steuern dürfen nicht schlecht geredet werden: Sie sind eine wichtige Grundlage für die Organisation des sozialen Zusammenhalts der Gesellschaft.
• Weitaus stärker als bisher muss bei der Krisenbewältigung das Verursacherprinzip gelten. Die Privatisierung von Gewinnen und die Sozialisierung von Verlusten widersprechen einem
gerechten Wirtschaftssystem. Lasten müssen vor allem von denen getragen werden, die die
Krise zu verantworten haben.
• Es muss verhindert werden, dass durch neue Spekulationsgeschäfte die Gefahr der nächsten Finanzblase heraufbeschworen wird.
• Ein notwendiger gesellschaftlicher Ausgleich ließe sich etwa durch eine höhere Besteuerung der Vermögenden und eine Finanzmarkttransaktionssteuer befördern.
• Wir brauchen endlich schärfere Regeln für die Finanzmärkte als die bisher umgesetzten, um unkalkulierbare Risiken und eine neue Krise zu vermeiden.
• Grundsätzlich muss die Politik ihre Gestaltungshoheit gegenüber der globalisierten Wirtschaft verteidigen.
• Es ist nicht akzeptabel, dass die Ärmsten der Armen – auch durch die Spekulationen an den Rohstoff- und Nahrungsmittelmärkten - weltweit am schlimmsten von den Folgen der Krise betroffen sind.

Wir rufen die Wirtschaft und die Finanzwelt auf:
• Freiheit bedeutet immer auch Verantwortung. Der Mensch darf in Wirtschaft und Gesellschaft nicht Mittel zum Zweck sein; seine Würde ist unantastbar.
• Unternehmerisches Handeln muss im Sinne der Wirtschaftsethik Martin Luthers die Würde
menschlicher Arbeit und damit auch deren ideelle und materielle Anerkennung im Blick
behalten.
• Nachhaltiges Wirtschaften hat Vorrang vor kurzfristiger Profitmaximierung. Nur derjenige
Unternehmer, der zugleich kreativ und verantwortungsvoll wirtschaftet, wird auf Dauer
erfolgreich sein. Anzustreben ist „gute Arbeit“, z.B. die größtmögliche Vermeidung von
befristeten Arbeitsverhältnissen, Leiharbeit und Scheinselbständigkeit, die Verwirklichung
fairer Arbeitsbedingungen, z.B. des Prinzips „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“.
• Die Finanzwelt darf keine Parallelgesellschaft werden und sich so von der Realwirtschaft
abkoppeln. Auch sie muss letztendlich dem Gemeinwohl dienen.

Für uns als Kirche gilt,
was schon 1997 im gemeinsamen Wort „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ festgehalten wurde: „Die Kirchen können nicht Maßstäbe des wirtschaftlichen Handelns formulieren und öffentlich vertreten, ohne sie auch an sich selbst und das eigene wirtschaftliche Handeln anzulegen. Mit Recht wird dies als eine Frage der Glaubwürdigkeit angesehen.“ Die Menschenfreundlichkeit Jesu muss als Motivation und Leitbild für unser Handeln in Kirche und Diakonie nach innen wie nach außen erkennbar sein.

Daraus folgt für uns:
• Wir unterstützen die Unternehmer, die sich gemäß dem Leitbild des „ehrbaren Kaufmanns“
verhalten, also eines Unternehmers, der sich ethischen Maßstäben verpflichtet weiß, und
ermutigen alle Unternehmer auf Anstand, Fairness, Transparenz und Respekt im Umgang mit Mitarbeitenden und Geschäftspartnern zu setzen.
• Kirche und Diakonie prüfen sich als Arbeitgeber, Investoren und Immobilienbesitzer ständig, ob sie selbst den eigenen ethischen Maßstäben gerecht werden. Schon jetzt begrüßen wir alle sichtbaren Bemühungen unserer Landeskirche, das Finanzgebaren an Nachhaltigkeitskriterien und ethischen Standards zu orientieren. Die Kirche darf keine Geschäfte mit Finanzinstitutionen machen, die intransparente oder gar betrügerische Produkte anbieten. Wir unterstreichen den Anspruch der Diakonie, Wirtschaftlichkeit strikt an ihrem Auftrag des Dienstes am Nächsten auszurichten.
• Unabhängig davon sind wir als Kirche aufgerufen, unsere christliche Ethik in die öffentlichen Debatten einzubringen, auf Fehlentwicklungen (Habgier, Mobbing, unmenschlicher Arbeitsdruck, Videoüberwachung) hinzuweisen und uns für eine stärkere Berücksichtigung wirtschafts- und sozialethischer Inhalte in Schule, Ausbildung und Universität einzusetzen.
• Kirche tritt dem Trend zur immer stärkeren Ökonomisierung der Gesellschaft entgegen. Dabei spielt der arbeitsfreie Sonntag als erster Tag der Woche eine zentrale Rolle. Die Sonntagsruhe vergewissert den Menschen, dass er für Gott unendlich wertvoll ist - ohne jede Vorbedingung.
• Die Wiedereinführung des Buß- und Bettags als gesetzlicher Feiertag bietet die Chance zum Innehalten und zur Umkehr. So kann „Heilung voranschreiten“ und „Licht hervorbrechen“.

Gerade unter dem Eindruck der nur vermeintlich ausgestandenen Krise suchen viele Menschen Orientierung. Hier ist Kirche gefragt. Sie tritt dafür ein, dass frühere Fehlentwicklungen endlich an der Wurzel korrigiert werden. Dabei kommt ihr mit ihren ethischen Maßstäben, ihrem seelsorgerischen Auftrag und ihren sozialen Beratungsangeboten besondere Bedeutung zu.

Es gehört zu ihren vordringlichen Aufgaben, insbesondere die Lebenswirklichkeit der Schwächsten wahrzunehmen, ihnen zuzuhören und sie nach Kräften zu unterstützen. Daneben dürfen Unternehmerinnen und Unternehmer mit ihren oft schwierigen Entscheidungen nicht aus dem Blick geraten. Viele von ihnen, darunter nicht zuletzt auch etliche Mitglieder unserer Kirche, nehmen schon jetzt ethische Orientierungen ernst und praktizieren gelebte Sozialpartnerschaft. Sie gilt es in ihrer Vorbildfunktion zu ermutigen und zu bestärken.

Um mehr Brücken zum Wirtschaftsleben zu schlagen, regen wir an, dass sich die Gemeinden und alle kirchlichen Ebenen intensiv auf den Dialog einlassen und selbst ein gutes Beispiel geben, indem sie
• auch vor Ort ihr Vermögen nachhaltig anlegen.
• fair gehandelte und qualitativ nachhaltige Produkte kaufen.
• verstärkt das Arbeitsleben in ihren Fokus nehmen und die Möglichkeit zu Betriebsbesuchen
und zum Dialog nutzen (den „Seitenwechsel“ wagen).
• in der Seelsorge die spezifischen Belastungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern,
Arbeitsuchenden sowie Unternehmerinnen und Unternehmern noch aufmerksamer
wahrnehmen.
• in den Kirchengemeinden und Dekanaten die Arbeitswelt in Predigten und Andachten sowie in der kirchlichen Bildungsarbeit und im Religionsunterricht thematisieren.
• für die beten, die in Sorge um ihre Existenz sind oder denen die Existenz anderer anvertraut ist.
• im ökumenischen Schulterschluss präsent sind in und nach Krisen.

Auf der Basis ihres christlichen Glaubens sind alle Christinnen und Christen dazu befreit nach ethischen Gesichtspunkten und gemäß dem Wort des Propheten Jesaja zu handeln: dem Hungrigen sein Brot zu brechen und dem Elenden Obdach zu gewähren.
Das Bibelwort aus Jesaja ist uns dabei eine wertvolle Orientierungshilfe. Wir regen daher an, es als Leitmotiv zu verstehen und im Lichte der Erfahrungen immer wieder neu zu durchdenken und zu verstehen. Es schließt mit einer Verheißung, die in Zeiten der Krise neue Hoffnung gibt und Mut macht:
„Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten, was vor Zeiten gegründet ward.“ (Jesaja 58,12)

Neu-Ulm, 24. November 2010

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