Die Landessynode wünscht sich von Kirche und Diakonie eine noch engere Zusammenarbeit als bisher.
Bild: guvendemir
Diakonie
Kirche in Wort und Tat
„Die Kirche ist nur dann Kirche, wenn sie für andere da ist“
(Dietrich Bonhoeffer, Berlin-Tegel 1944)
Grundsätzliches
„Diakonie wird für unsere Kirche künftig noch wichtiger“
Die Landessynode hat sich angesichts des rasanten gesellschaftlichen Wandels sowie der daraus resultierenden Konsequenzen für den Sozialstaat und die freie Wohlfahrtspflege umfassend mit der Rolle der Diakonie für Kirche und Gesellschaft beschäftigt. In diesem Zusammenhang hat sie ein Diakoniegesetz beschlossen, das die diakonische Arbeit in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern ordnet.Als evangelische Christinnen und Christen sind wir der Meinung, dass mit Blick auf die Not vieler Menschen sowie auf die steigende Nachfrage nach Wertorientierung und sozialen Dienstleistungen die Diakonie für unsere Kirche künftig noch mehr als bisher von zentraler Bedeutung sein wird. Ihr ethisch-sozialer Auftrag im Zeichen des biblischen Menschenbildes, aber auch ihre Flexibilität und Professionalität sind profilbildend für unsere ganze Kirche. Wie Kirche in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, hängt in hohem Maße auch von der Arbeit der Diakonie ab.
Wesen und Auftrag
„Diakonie ist Kirche in Wort und Tat“
Dietrich Bonhoeffers Wort, wonach „die Kirche nur dann Kirche ist, wenn sie für andere da ist“, trifft insbesondere auf die Diakonie zu, die sich an alle Menschen wendet, unabhängig von ihrer Kirchenzugehörigkeit, ihrer Herkunft oder Religion. Diakonisches Handeln in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern orientiert sich als ganzheitlicher Dienst am christlichen Menschenbild und an den biblischen Weisungen der Nächstenliebe und Solidarität. Es zielt auf „Heilung“ und „Heil“, auf ein gelingendes Leben jedes Einzelnen. Diakonie dient somit dem Auftrag der Kirche zur Verkündigung des Evangeliums von der in Jesus Christus offenbarten Gerechtigkeit und Liebe Gottes. Sie ist kommunizierte Kirche für den Alltag – sie hilft mit Wort und Tat, insbesondere auch denen, die in Not sind. Diakonie befähigt Menschen zu einem eigenverantwortlichen Leben und übernimmt politische und gesellschaftliche Verantwortung für Gerechtigkeit, Solidarität und Gemeinwohl – gegen Verantwortungslosigkeit und Entsolidarisierung. Sie ist also Helferin in der Not und bietet umfassend soziale Dienstleistungen an ebenso wie sie Stimme für die Schwachen ist und Entwicklungschancen eröffnet - damit Leben gelingt und der Mensch in seiner von Gott gegebenen unveräußerlichen Würde nicht verletzt wird und seinen Platz in der Gesellschaft findet.
Als Praxis des Glaubens und Dienst am Nächsten wird die diakonische Arbeit aber auch zugleich erfahren als Kommunikation des Evangeliums. Damit spiegelt sich im diakonischen Handeln der Gegenwart der doppelte Aspekt des biblischen Diakoniebegriffs wider. Schon im Neuen Testament wird Diakonie einerseits als „Dienst“ am Nächsten verstanden (Matthäus 25, 31-46), wofür Jesus Christus das Vorbild ist (Markus 10, 43-45). Andererseits benennt das Wort aber auch den „Verkündigungsauftrag“, den nicht nur Paulus als Apostel der Völker besitzt (Römer 11, 13), sondern der der gesamten Kirche gilt. Mit den Worten des Apostels gesagt: Diakonie ist Dienst zur Versöhnung (2. Korinther 5, 18). In diesem Sinne wirken Kirche und Diakonie zusammen als Einheit, indem sie den Menschen auf ihre Fragen nach Sinn und Ziel des Lebens glaubwürdige Antworten bieten und zu einem gelingenden Leben beitragen. Beide stärken damit nicht zuletzt auch unser Gemeinwesen. Hier sehen wir für Kirche und Diakonie den Auftrag des Evangeliums, wie ihn der Apostel Paulus formuliert: „Wachet, steht im Glauben, seid mutig und seid stark. Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen“ (1. Kor. 16, 13-14).
Wachsam sein gegenüber dem, was geschieht in dieser Welt, glaubensgewiss der Zukunft entgegengehen und das eigene Tun und Lassen von Liebe bestimmt sein lassen. Das ist evangelische Diakonie: Kirche in Wort und Tat.
22.02.2016
ELKB
Diakonie im Sozialstaat
„Christliches Profil gerade heute unverzichtbar“
Die Globalisierung der Wirtschaft, aber auch gravierende gesellschaftliche Veränderungen (Demografie, Arbeitsmarkt, Migration etc.) bei uns und unseren europäischen Nachbarn führen in immer schnellerem Tempo zu einem Umbau der sozialen Sicherungssysteme. Die damit verbundene Entwicklung zum investiven Sozialstaat und von der Daseinsfürsorge zur Daseinsvorsorge verlangt auch von der Diakonie ein hohes Maß an Flexibilität – sowohl was die altbewährte Hilfe für Schwache, Arme und Kranke in unserer Gesellschaft angeht als auch was die verstärkte Konzentration auf neue Organisationsformen bei der Bildung im lebenspraktischen Bereich und bei der Förderung von selbständiger Lebensführung betrifft. Gleichzeitig muss sich die Diakonie als Dienstleister gegen eine stark wachsende Konkurrenz auf dem „Sozialmarkt“ behaupten.
Die Landessynode stellt deshalb mit großer Anerkennung fest, dass es der bayerischen Diakonie gelungen ist, sich auf die rasch wandelnden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen einzustellen. Trotz des Wettbewerbs mit anderen Anbietern hat sie ihre wichtige Position als sozialer Dienstleister behauptet. Damit hat sie gezeigt, dass christliches Profil und wirtschaftliches Denken keine Gegensätze sein müssen. Zum Erfolg trägt wesentlich die verstärkte „Kunden“- Orientierung bei gleichzeitiger ethischer Kompetenz bei. In überzeugender Weise ist die Diakonie der bewährten Tradition kirchlicher Sozialarbeit treu geblieben und hat auch neue Formen und Arbeitsbereiche für Lebenshilfe und eigenständige Lebensführung entwickelt. Letzterem Ziel dienen insbesondere die vielfältigen Schulen und Ausbildungseinrichtungen der bayerischen Diakonie, mit denen sie auch einen Bildungsauftrag der Kirche für unsere Gesellschaft wahrnimmt. Dazu gehört, dass sie sich auch ökumenisch und sogar grenzüberschreitend engagiert. Zu all diesen Fortschritten tragen vor allem die hohe Professionalität und Flexibilität der Mitarbeitenden in der Diakonie bei.
Die Landessynode ist froh darüber, dass die bayerische Diakonie gerade in der gegenwärtigen Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs und der Suche nach Werten an ihrem christlichen Profil festhält, und bittet sie, dies auch künftig mit aller Deutlichkeit zu tun. Angesichts des immer diffuser werdenden sozialen Dienstleistungsmarktes und der zunehmenden Ökonomisierung auch auf diesem Sektor ist dieses Leitbild gerade heute unverzichtbar. Seelsorge und ethische Kompetenz, Sinnheimat und Spiritualität, lebensgeschichtlich orientierte Hilfe für den Einzelnen, Brückenbau zwischen den Generationen, Zuwendung und Zeit sind auch künftig die unverwechselbaren Qualitätskriterien der Diakonie. Diakonisches Handeln beschränkt sich nicht auf eine abrechenbare Dienstleistung, sondern bietet den hilfsbedürftigen Menschen, denen es sich zuwendet, auch Nähe, Heimat und Vertrauen. Diakonie – mit Leib und Seele.
Erwartungen an Staat und Gesellschaft
„Diakonie - Anwalt für Solidarität und Gerechtigkeit“
Die Landessynode sieht die derzeitige gesellschaftliche Entwicklung mit großer Sorge. Die bedrohliche Massenarbeitslosigkeit und das wachsende Armutsrisiko breiter Bevölkerungsgruppen – vor allem bei kinderreichen Familien und Alleinerziehenden -, der erschwerte Bildungszugang für Jugendliche aus sozial schwachen Familien oder auch die oft mangelhafte Versorgung von Menschen mit Behinderung, von Schwerstkranken und Pflegebedürftigen sind nur einige wenige Beispiele. Besonders beunruhigt uns die Tatsache, dass Armut und Not immer häufiger von Generation zu Generation weitergegeben werden.
Dies gilt für materielle Armut ebenso wie für die damit verbundenen Phänomene der Bildungsarmut und den Mangel an Perspektiven für die eigene Lebensgestaltung. Immer mehr Menschen, insbesondere aber Kindern und Jugendlichen, wird so langfristig die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erschwert. Darüber hinaus ist ganz grundsätzlich auch die Generationengerechtigkeit gefährdet.
Wir sind mit unserer Diakonie jedoch davon überzeugt, dass ein Leben in dauerhafter Not der von Gott gegebenen Würde des Menschen widerspricht und erinnern Politik und Gesellschaft an die Prinzipien sozialstaatlichen Zusammenlebens. Deutschland ist trotz aller Krisensymptome nach wie vor ein reiches Land und muss das wachsende Armutsrisiko aktiv bekämpfen. Das Grundgesetz schreibt die Sozialbindung von Eigentum fest. Dennoch wächst die Kluft zwischen Arm und Reich in unserem Land ständig. Im Sinne eines gerechten Lastenausgleichs erwarten wir von Staat und Gesellschaft, dass sie sich für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit stark machen und trotz teilweise veränderter Rahmenbedingungen beim Umbau des Sozialstaates am Prinzip der sozialen Marktwirtschaft festhalten. Der Markt ist für den Menschen da und nicht umgekehrt. Schwache, Kranke und Arme dürfen nicht ausgegrenzt werden, die Arbeitsbedingungen für soziale Dienstleister wie die Diakonie deshalb nicht weiter erschwert werden. Nicht zuletzt geht es auch darum, den Dienst am Nächsten in unserer Gesellschaft aufzuwerten und den Mitarbeitenden mehr Anerkennung zu zollen.
Kirche und Diakonie haben sich immer als „Anwalt“ auch für soziale Fragen verstanden, sich eingemischt und nicht zuletzt dadurch als verlässlicher und kritisch-konstruktiver Partner erwiesen. Insofern begrüßen wir auch alle politischen Reformen, die darauf abzielen, dem Einzelnen im Rahmen seiner Fähigkeiten ein Leben in Freiheit und Verantwortung zu ermöglichen. Bei allen Bemühungen um die Stärkung des Gemeinwesens in unserem Lande sollen Staat und Gesellschaft die Kirche und ihre Diakonie an ihrer Seite wissen.
Erwartungen an Diakonie und verfasste Kirche
„Die Zusammenarbeit voranbringen“
Die Landessynode wünscht sich von Kirche und Diakonie eine noch engere Zusammenarbeit als bisher – auf allen Ebenen, von den großen überregionalen Einrichtungen und dem Landeskirchenamt bis hin zu den Kirchengemeinden und örtlichen diakonischen Trägern. Ihr gemeinsamer Auftrag wird für die Öffentlichkeit umso sichtbarer je mehr beide auch gemeinsam auftreten und – wenn irgend möglich – mit einer Stimme sprechen, je mehr sie Synergieeffekte nutzen und wechselseitig voneinander lernen. Dies bezieht sich auf ihren gemeinsamen Verkündigungsauftrag ebenso wie auf ihre spirituelle und karitativ-seelsorgerliche Begleitung von Menschen in allen Lebenslagen, auf ihr anwaltschaftliches Eintreten für die Schwachen in unserer Gesellschaft, auf ihren Bildungsauftrag und nicht zuletzt auf ihre Mitglieder/Klienten – und Mitarbeitendenpflege.
Die auch nach außen gezeigte Einheit von verfasster Kirche und Diakonie ist für beide von unschätzbarem Wert und kann ihnen in der Öffentlichkeit größere Aufmerksamkeit verschaffen. Wir wünschen uns, dass die verfasste Kirche künftig noch mehr als bisher sich dessen bewusst ist, dass diakonisches Handeln auch einen Verkündigungsauftrag der Kirche wahrnimmt. Umgekehrt wird die Diakonie noch stärker als bisher auf die Betonung ihres christlichen Profils und die enge Verzahnung mit der verfassten Kirche Wert legen müssen. Gemeinsam können beide am besten den modernen Herausforderungen wie der Selbstorganisation von Hilfe, der Zunahme zivilgesellschaftlicher Strukturen und der neuen Orientierung im Bereich religiöser und ethischer Bildung begegnen.
Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Diakonie in Bayern mit über 1.300 diakonischen Trägern – nicht nur ihrer Größe nach oft recht unterschiedlich – und über 60.000 Mitarbeitern/innen auf der Grundlage eines gemeinsamen Leitbildes handelt. Es ist aber mindestens genauso wichtig, die beruflichen Leitbilder von verfasster Kirche und Diakonie besser aufeinander abzustimmen und bei der Personalentwicklung von Pfarrern/innen die diakonische Kompetenzbildung noch stärker als bisher zu fördern. Umgekehrt sollte bei Mitarbeiter/innen diakonischer Einrichtungen die spirituelle Kompetenz nachhaltig verstärkt werden.
Die Landessynode erkennt die oft schon gut funktionierende Zusammenarbeit zwischen den Kirchengemeinden vor Ort (Pfarrer/innen und Kirchenvorsteher/innen) und den dortigen diakonischen Trägern an. Sie empfiehlt eine noch engere Kooperation und Kommunikation. Dazu gehört zum Beispiel eine stärkere Einbeziehung der Diakonie und diakonischer Anliegen in den Gottesdienst und gemeindliche Veranstaltungen. Es scheint der Landessynode erforderlich, dass Kirche und Diakonie gemeinsame Netzwerkstrukturen aufbauen und dabei auch die vielfältige Professionalität von Ehrenamtlichen noch stärker einbeziehen.
Die Diakonie darf sich aufgrund des gesellschaftlichen Wandels schon heute, aber erst recht künftig nicht mehr nur als „soziale Feuerwehr“ verstehen. Sie muss vielmehr auch mit Blick auf die Befähigung von Menschen neue Arbeitsfelder im Bereich bürgerschaftlichen Engagements besetzen und ist auch hier zusammen mit der Kirchengemeinde als Kirche vor Ort gefragt. Möglichst gemeinsam sind nicht nur neue Berufsbilder für die neuen Aufgabengebiete zu entwickeln, es müssen künftig auch ganz grundsätzlich mehr projekt- als institutionsorientierte Wege beschritten werden. Kirche und Diakonie könnten so zusammen den Raum für neue Modelle nachbarschaftlichen Zusammenlebens bieten, bürgernahe Agenturen und lokale Netzwerke (z.B. für junge Familien) in einer Kirche vor Ort aufbauen. Die Landessynode appelliert daher an verfasste Kirche und Diakonie, Bewährtes gemeinsam zu sichern und Neues gemeinsam zu wagen, damit möglichst allen Menschen ein Leben in Freiheit und Verantwortung zuteil wird.
Unser Dank
Die Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern freut sich über das bewährte vielfältige Engagement und die Innovationsfreudigkeit der bayerischen Diakonie, wie sie auch im Wettbewerb diakonischer Projekte („Den handelnden Glauben stärken“) zum Ausdruck kommt.
Allen diakonischen Einrichtungen sei herzlich gedankt für ihren unermüdlichen Einsatz – insbesondere angesichts immer größer werdender Aufgaben und immer knapper werdender Geldmittel. Dies durchzustehen und trotzdem den Menschen in Not nahe zu sein, erfordert viel Kraft, Kreativität und vor allem Gottvertrauen. Unser Dank gilt deshalb insbesondere allen Mitarbeitenden in der Diakonie, den Hauptamtlichen wie auch den vielen Ehrenamtlichen, die beide professionell und liebevoll ihren Dienst am Nächsten versehen.
Ebenfalls danken wir allen gesellschaftlichen Gruppen und allen Politikern/innen, die die Arbeit der Diakonie in Bayern erleichtern und unterstützen. Wir können nur für andere da sein, weil sich auch andere für die Diakonie einsetzen.
Bad Alexandersbad, März 2006