Podiumsgespräch zum Umgang der ELKB mit sexualisierter Gewalt in der Kirche

Frühjahrstagung München

Umgang mit sexualisierter Gewalt

Eine große Herausforderung für Kirche und Diakonie: Das Thema Umgang mit sexualisierter Gewalt, die notwendige Aufarbeitung, die Betroffenenpartizipation und notwendige Veränderungsprozesse wurden intensiv diskutiert.

In einem großen Themenblock hat sich die Landessynode auf ihrer Frühjahrstagung dem Thema Umgang mit sexualisierter Gewalt in der bayerischen Landeskirche gewidmet. Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm intonierte das Thema in seinem Bischofsbericht, es nahm einen wichtigen Teil im Bischofsbericht ein.

"Wir lernen immer wieder dazu"

Es rufe immer wieder neu Scham in ihm hervor, so Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, wenn er daran denke, „dass wir als Kirche diejenigen, die solche sexualisierte Gewalt im Raum der Kirche erfahren haben, davor nicht schützen konnten“. Die Landeskirche habe die Wichtigkeit dieses Themas erkann. Dennoch komme sie mit ihren Möglichkeiten immer wieder an ihre Grenzen. Selbstverständlich würden zur Ahndung von Verbrechen immer die entsprechenden Taten an die Staatsanwaltschaft weitergegeben. Vom Staat erhoffe er sich Unterstützung hinsichtlich angemessener Anerkennungsleistungen, so der Landesbischof. „Wir brauchen einheitliche gesellschaftliche Standards für einen gerechten Ausgleich. Und dazu brauchen wir dringend eine staatlich eingesetzte Kommission, die die Standards für die ganze Gesellschaft festlegt. Ich sichere schon jetzt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern zu, dass wir alles zahlen werden, was diese Kommission an Leistungen festlegt.“

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm zum Umgang der ELKB mit Sexualisierter Gewalt in der Kirche.

Nach dem Bischofsbericht schloss Oberkirchenrat Nikolaus Blum mit einem ausführlichen Bericht aus der Arbeit der Fachstelle an. Danach richtete Detlev Zander, Sprecher des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt der EKD, einen Appell an die Synode. Im Anschluss wurden in einem Podiumsgespräch die Themen vertieft unter Mitwirkung zweier Betroffener: Karin Krapp, Betroffene und Mitglied des Beteiligungsforums der EKD, und Detlev Zander diskutierten mit dem Landesbischof und der Leiterin des landeskirchlichen Präventionsteams, Martina Frohmader.

Oberkirchenrat Nikolaus Blum berichtete vor der Synode über den aktuellen Stand der Arbeit der Fachstelle.

Bild: elkb/mck

Oberkirchenrat Nikolaus Blum

Blum: Betroffenen wirksame Hilfe zukommen lassen

Oberkirchenrat Nikolaus Blum berichtete vor der Synode über den aktuellen Stand der Arbeit der Fachstelle und der Anerkennungskommission, der groß angelegten Forum-Studie sowie über die Arbeiten mit den Präventions- und Schulungskonzepten in Kirchengemeinden, Einrichtungen und Werken.

In der ELKB seien bisher 211 Fälle sexualisierter Übergriffe und Gewalt gegen Kinder und Erwachsene bekannt, die zum Teil bis in die 1950er-Jahre zurückreichen. Hinzu kommen 30 Fälle von sexuellen Belästigungen am Arbeitsplatz. Man gehe aber von einer hohen Dunkelziffer aus, sagte Blum. Bei der Anerkennungskommission seien seit 2015 insgesamt65 Anträge eingegangen und bearbeitet worden. In 62 Fällen seien Leistungen in einer Höhe von insgesamt 1,4 Millionen Euro gewährt worden. Pro betroffener Person betragen die Leistungen laut Blum zwischen 5.000 und 50.000 Euro.

Die extra eingerichtete Fachstelle für sexualisierte Gewalt soll Betroffene bei der individuellen Aufarbeitung begleiten. Dazu gehören laut Blum auch Formate wie regelmäßige Treffen mit dem Landesbischof. Ebenso würden Betroffene um Stellungnahmen zu neuen Vorhaben und Regelungen gebeten. Die Fachstelle engagiere sich zudem in der Prävention und habe ein Handbuch sowie einen Verhaltenskodex für Mitarbeitende erstellt.

Blum betonte in seinem Bericht, dass die Strafverfolgung sexualisierter Gewalt eine staatliche Aufgabe sei. Von Kirchen könne nicht erwartet werden, ein eigenes Ermittlungs- und Rechtssprechungssystem aufzubauen. Vor allem bei der Verjährung von Fällen sei es schwierig, ohne eine rechtskräftige Feststellung von Taten Schmerzensgeldverfahren einzuleiten. Damit stelle die Kirche jedoch weder die Notwendigkeit der Aufarbeitung, noch die Unterstützung Betroffener oder ihre institutionelle Verantwortung infrage.

Was müsse Kirche tun? Blum führte aus, dass es zunächst darum gehe, sprachfähig zu diesem Thema zu werden. „Wir müssen sexualisierte Gewalt aus der kommunikativen Tabuzone holen.“ Der zweite Punkt sei Prävention. Blum appellierte an die Vertreterinnen in Kirchengemeinden und Dekanatsbezirken, dass weiter Schutzkonzepte erstellt und gelebt und Schulungen durchgeführt werden.

Blum: „Und schließlich müssen wir uns als Kirche und als Christen denjenigen zuwenden, die durch sexualisierte Gewalt Leid und Unrecht erfahren haben. Es ist unsere Verpflichtung, Betroffenen wirksame Hilfe zukommen zu lassen, und zwar unabhängig von und über alle juristischen Ansprüche hinaus.“ Eine derzeit zu klärende Frage wäre, in welcher verbindlichen Form betroffene Menschen und externe Expertinnen und Experten an der notwendigen Aufarbeitung beteiligt werden.

Der Oberkirchenrat betonte: „Ein wirksames System der Beteiligung und Unterstützung aufzubauen, das ist im Moment die große Herausforderung, an der wir weiterarbeiten müssen und wollen. Das geht nur in enger und gleichberechtigter Zusammenarbeit mit den Betroffenen.“ Er bat die Synodalen um breite Unterstützung: "Wir stehen vor einer existentiellen Herausforderung für Kirche und Diakonie. Unsere Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit stehen auf dem Spiel. Das merken wir an den öffentlichen Reaktionen und nicht zuletzt auch an den Kirchenaustritten. Diese Herausforderung kann auch nur von allen gemeinsam bewältigt werden."

Detlev Zander ist Sprecher des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt der EKD.

Bild: elkb/mck

Detlev Zander, Sprecher des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt der EKD

"Jetzt ist die Zeit zu handeln"

„Das Thema Aufklärung und Aufarbeitung muss für Sie alle das Topthema werden“, mahnte Detlev Zander, Sprecher des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt der EKD, vor der Landessynode. Mit dem Beteiligungsforum habe die EKD eine Struktur geschaffen, die gemeinsames Entscheiden ermögliche. Insgesamt acht Betroffene seien in dem Gremium vertreten, das Bischöfinnen und Kirchenjuristinnen berät. Damit sei in der EKD eine systematische und weitgehende Form der Betroffenenpartizipation verankert worden. Ein solches Beteiligungsforum wünsche sich Zander auch in der Landeskirche. Aufklärung und Aufarbeitung müsse auch in den Landeskirchen und der Ebene der Kirchengemeinde ihre Wirkung entfalten. Einzelne Formen der Einbeziehung seien erfreulich, ersetzten aber nicht eine systematische und verlässliche Form der Kommunikation und Beteiligung. Das Beteiligungsforum auf EKD-Ebene habe keinerlei echte Durchschlagskraft, wenn sich nicht die Landeskirchen auch auf diesen Weg einließen.

Themenblock "Umgang der ELKB mit sexualisierter Gewalt in der Kirche" beginnt ab 3h 5 min 53 sec.

Notwendige Prozesse und Veränderungen werden angemahnt

Im Anschluss wurden in einem Podiumsgespräch die Themen vertieft unter Mitwirkung zweier Betroffener. Karin Krapp, Betroffene und Mitglied des Beteiligungsforums der EKD (Bildmitte), und Detlev Zander (2.v.l.)  diskutierten mit dem Landesbischof (links) und der Leiterin des landeskirchlichen Präventionsteams, Martina Frohmader (rechts). In der Frage, was es in der ELKB brauche, forderte Zander in der Diskussion mehr Sensibilität sowie eine wirkliche Betroffenenbeteiligung. Krapp betonte, ihr fehle in der ELKB die aktive Aufarbeitung sowie der Wille, auch neue Wege zu gehen. Das betreffe insbesondere die Ausrichtung der Ausbildung, die Aufarbeitung vor Ort, die Transparenz von Anerkennungsleistungen sowie die konkrete Fallbegleitung. Sie appellierte an die ELKB: „Seien Sie Wegbereiter in unserer Gesellschaft.“

Sie können den gesamten Themenblock "Umgang der ELKB mit sexualisierter Gewalt in der Kirche" hier im Video sehen, der Themenblock beginnt ab 3h 5 min 53 sec.

30.03.2023
ELKB/epd