Sexualisierte Gewalt
»Es braucht einen Kulturwandel«
Drei Monate nach Veröffentlichung der ForuM-Studie zu sexualisierter Gewalt in Kirche und Diakonie hat sich die Landessynode damit beschäftigt. Landesbischof Christian Kopp hatte in seinem Bericht die Betroffenenvertreter Detlev Zander und Karin Krapp zu Wort kommen lassen.
Seit Veröffentlichung der ForuM-Studie zu sexualisierter Gewalt ringt die evangelische Kirche um den richtigen Umgang mit den Ergebnissen der EKD-Missbrauchsstudie. Ein wichtiges Versprechen hat die bayerische Landeskirche bei der Synodaltagung in Coburg eingelöst: Man will auf Betroffene hören.
Der bayerische Landesbischof Christian Kopp gab in seinem Bischofsbericht den Betroffenenvertretern Karin Krapp und Detlev Zander das Wort. Zander, Sprecher der Betroffenen sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), redete der Kirche mit drastischen Worten ins Gewissen und mahnte, die Aufarbeitung hänge davon ab, »wie ihr mit dem Thema umgeht«. Konkret forderte er, dass die Beschlüsse der EKD-Synode im Herbst auch in den Landeskirchen und Kirchengemeinen umgesetzt werden. Hier brauche es ein gewisses Durchregieren der EKD.
Zander forderte bei der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt konkrete Schritte. »Nicht immer sagen: ›Wir werden. Wir sollten. Wir müssen‹ – sondern einfach machen.« Die Betroffenen »haben euch so viel gegeben. Jetzt macht was draus«, sagte er an die 108 Synodalen gewandt. Laut ForuM-Studie seien nachweislich viele Fälle vertuscht und bis in die strafrechtliche Verjährung verschleppt worden, sagte Zander weiter und fragte, inwieweit man hier auch von »Unterlassung« sprechen könne.
Zander ist überzeugt, dass nichts passieren würde, wenn die Betroffenen nicht immer wieder den Finger in die Wunde legen würden. »Ich weiß, das Thema nervt. Ich weiß, wir nerven. Ich weiß, der Zander nervt. Aber ich werde weiter nerven«, sagte er.
Betroffenenvertreterin Karin Krapp sagte vor der Synode, dass viele Wortmeldungen nach der Veröffentlichung der ForuM-Studie – gerade aus Bayern – sie stutzig gemacht hätten. Sie habe gestaunt, dass die in der Studie beschriebenen typischen Abwehrreaktionen auch nach Studien-Veröffentlichung sichtbar geworden seien – nämlich, dass es doch nur um alte Fälle gehe oder die Relativierung, dass die Kirche doch auch viel Gutes tue.
Annekathrin Preidel, Präsidentin der Landessynode, kündigte Konsequenzen aus der ForuM-Studie an. Sexualisierte Gewalt dürfe keinen Platz in der Kirche haben. »Wir werden also wachsam bleiben – und neu aufmerksam werden«, damit die Strukturen in der Kirche entsprechend verändert würden. Die Synode werde das 2020 verabschiedete Präventionsgesetz überprüfen und gegebenenfalls überarbeiten. Außerdem sollen weitere Mittel für die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt und die Präventionsarbeit zur Verfügung gestellt werden. Für das laufende Haushaltsjahr 2024 seien bereits mehr als 1,1 Millionen Euro für die Fachstelle »Prävention gegen sexualisierte Gewalt« in den Haushalt eingestellt worden. Laut der Leiterin der Fachstelle für den Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Landeskirche, Martina Frohmader, haben sich im vergangenen Jahr 32 Menschen an die Fachstelle gewandt. In den ersten drei Monaten des Jahres 2024 seien es bereits 20 gewesen.
Landesbischof Christian Kopp appelierte in seinem Bericht, die betroffenen Personen zu hören: »Ihr Leid, ihre Geschichten, ihre Perspektiven sind wichtig für unser kirchliches Handeln.« Statt einer Kultur des Wegsehens brauche es eine Kultur des Hinsehens. Er fragte: »Wie kommunizieren wir mit betroffenen Personen? Welchen Ton haben unsere amtlichen Briefe?« Oder: »Wie gehen wir mit den vermeintlichen Störern um, die unsere oberflächliche Harmonie gefährden?« Sexualisierte Gewalt sei
in vielen Bereichen ein Tabuthema. Er wünsche sich, dass auf bundesweiter Ebene eine Ansprechstelle für betroffene Personen eingerichtet werde.
Als Ziele der Aufarbeitung nannte er konkret, dass nun untersucht werden soll, wo alte patriarchale Strukturen eine toxische
Hierarchie begünstigt, vermeintlich flache Hierarchien Missbrauch ermöglicht hätten oder wo es zu Abhängigkeiten gekommen sei. Diese Arbeit der Aufarbeitung müsse konsequent weitergeführt werden, sie brauche einen langen Atem.
Bei der anschließenden Debatte forderte die Regensburger Synodale EKD-Präses Anna Nicole Heinrich einen »Kulturwandel auf allen Ebenen«. Jeder kirchliche Ort, ob Gemeinde, Jugendwerk oder diakonische Einrichtung, müsse über die ForuM-Studie und die nötigen Konsequenzen sprechen. Man müsse die kuturellen und strukturellen Faktoren anschauen, die sexuelle Gewalt möglich gemacht haben und immer noch möglich machen. Das Thema müsse immer wieder auf die Tagesordung. »Wir müssen uns klar sein, dass an Prävention nie irgendwann ein Haken gemacht werden kann.«
Sr. Nicole Grochowina von der Christusbruderschaft Selbitz pflichtete ihr bei: »Nicht nur eine Haltungsänderung, sondern ein Kulturwandel ist notwendig – im kirchliche Denken und Handeln bis in die Gebetspraxis hinein.« Nun gehe es darum, das Grundverständnis der Kirche, wie sie einmal gedacht war, wieder mit Leben zu füllen.«
Der Augsburger Pfarrer Bernhard Offenberger mahnte zu einer »Abkehr von evangelischer Selbstgefälligkeit«. Nötig sein nun, theologisch ins Herz zu gehen, die Kernthemen anzuschauen, wie etwa die Rechtfertigungslehre missbräuchlich verwendet wurde.
25.04.2024
Helmut Frank