„Ja zum Leben“

Menschliches Leben ist uns von Gott gegeben. Es ist in jeder Phase zu bewahren und zu schützen.

Bild: BraunS

Pränatale Diagnostik

„Ja zum Leben“

Wort aller kirchenleitenden Organe der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern zur Praxis pränataler Diagnostik und zur Durchführung von Spätabtreibungen, Straubing, November 2008.

Landessynode, Landesbischof, Landessynodalausschuss und Landeskirchenrat haben heute im Rahmen der Synodaltagung ein Straubing unter dem Titel „Ja zum Leben“ ein gemeinsames Wort zur Praxis pränataler Diagnostik und zur Forderung einer Beratungspflicht bei der Durchführung von Spätabtreibungen verabschiedet.

Hier der Text im Wortlaut:

Wort aller kirchenleitenden Organe der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern

                                                                Ja zum Leben

Stellungnahme des Unterausschuss für Ethik in der Medizin und Biotechnik zur Praxis pränataler Diagnostik und zur Durchführung von Spätabtreibungen

1. Zur gegenwärtigen Praxis pränataler Diagnostik und Schwangerschaftsabbruch nach pränataler Diagnostik

Die Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern sieht Anlass zu kritischen Anfragen an die gegenwärtige Rechtslage und die Praxis pränataler Diagnostik sowie von Spätabbrüchen nach pränataler Diagnostik.

23.02.2016
ELKB

- Mit der routinemäßigen Anwendung verfeinerter pränataldiagnostischer Verfahren ist zu befürchten, dass der Druck auf schwangere Frauen zunimmt, der Gesellschaft keine kranken oder behinderten Kinder zuzumuten.

- Nach der neueren Rechtsprechung sind Ärzte dazu verpflichtet, schwangeren Frauen alle Möglichkeiten der modernen Medizin anzubieten und zu empfehlen. Die Entscheidung für oder gegen eine pränatale Diagnostik liegt nach heutiger Rechtslage allein bei der Schwangeren. Jedoch sind die Schwangeren und ihre Familien über die Reichweite und Bedeutung der Entscheidungen für sie selbst und für ihr Kind meist zu wenig informiert. Eine gendiagnostische Untersuchung wird häufig angeboten, ohne in geeigneter Weise auf die Folgen von auffälligen Befunden hinzuweisen. Oft ist den Schwangeren nicht klar, dass es gute Gründe gibt, auf vorgeburtliche Diagnose nicht heilbarer Krankheiten und Behinderungen zu verzichten. Beratung bei pränataler Diagnostik ist derzeit nicht gesetzlich vorgeschrieben und nicht geregelt.

- Schwangere, die den Abbruch einer Schwangerschaft nach einer pränatalen Diagnostik erwägen, werden häufig ungenügend über Verfahren und Umstände des Abbruchs aufgeklärt. Sie erleben den Abbruch meist als traumatisch und erfahren wenig menschliche Begleitung.

- Unzureichende gesetzliche Regelungen machen es erforderlich, dass Frauen sich unter zeitlichem und psychischem Druck für oder gegen die Fortsetzung ihrer Schwangerschaft entscheiden müssen. Es bleibt dabei zu wenig Zeit zur Gewissensprüfung und Entscheidungsfindung. Trotz des Angebots an psychosozialer Beratung wird diese in der Praxis zu wenig wahrgenommen. Wo Beratung bereits jetzt in Anspruch genommen wird, wird sie von den Frauen in der Regel für ihre Information, Aufklärung und für ihre Entscheidungsfindung als sehr unterstützend erlebt.

- Es besteht trotz Abschaffung der embryopathischen Indikation ein signifikanter Zusammenhang zwischen einer zu erwartenden Behinderung des Kindes und einem daraufhin durchgeführten Schwangerschaftsabbruch.

- Auch für ärztliches und pflegerisches Personal sowie für die Geburtshilfe bedeutet ein Schwangerschaftsabbruch zu einem späten Zeitpunkt eine enorme psychische Belastung und Gewissensnot.

2. Theologische Grundlegung
Verantwortlicher Umgang mit Pränataldiagnostik und Beratung bei Pränataldiagnostik setzen für evangelische Christinnen und Christen das Bekenntnis voraus, dass jeder Mensch Geschöpf und Ebenbild Gottes ist. Von Gott her ist jedem Menschen Würde zugesprochen, die es ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt menschlichen Werdens zu schützen gilt. Alle Menschen sind zum je einzigartigen Bilde Gottes geschaffen, gesunde und kranke – die Liebe Gottes gilt jedem und jeder einzelnen. Wir sind nicht als Einzelwesen geschaffen, sondern leben in Beziehung zueinander und zu Gott. Er „traut uns darin zu, dass wir Verantwortung für eigenes und fremdes Leben in Achtung und Liebe übernehmen“ (Rosenheimer Erklärung der Landessynode der ELKB vom 18. April 1991).

Frauen, Männer und Kinder, ob mit oder ohne Behinderung sind einander immer anvertraut als Gabe und als Aufgabe. Die Humanität einer Gesellschaft zeigt sich darin, dass sie die unantastbare Würde menschlichen Lebens unabhängig von Entwicklungsstand und Fähigkeiten achtet und schützt und damit individuelles Leben gelten darf unabhängig von seiner Beschaffenheit. Deshalb ist die Frage für oder gegen Fortsetzung einer Schwangerschaft bei einer zu erwartenden Erkrankung oder Behinderung des Kindes nicht allein Problem der betroffenen Frau oder des betroffenen Paares, sondern ruft die gesamte Gesellschaft in Verantwortung.

Auch eine Frau, die sich, gegebenenfalls gemeinsam mit ihrem Partner, nach eingehender Beratung und Gewissensprüfung in einer ausweglos erscheinenden Notlage für den Abbruch ihrer Schwangerschaft entscheidet, bedarf einer annehmenden mitmenschlichen Begleitung. „Auch wenn der Schutz menschlichen Lebens bleibendes Gebot Gottes ist, sollen und dürfen wir in solchen Krisen- und Konfliktsituationen die Betroffenen nicht allein lassen. Sie bedürfen unseres Beistandes und unserer Hilfe.“ (Rosenheimer Erklärung) Auch und gerade in dieser Situation kommt der lutherischen Rechtfertigungslehre Bedeutung zu. Sie findet ihre lebensweltliche Umsetzung in menschlicher Begleitung, Bereitschaft zum Gespräch und zur Vergebung und in der Eröffnung neuer Lebensperspektiven: „Eine verantwortlich getroffene Entscheidung schließt niemals aus, dass wir dabei schuldig werden. Gottes Vergebung will uns hier mitten in schwierigen Situationen neue Wege eröffnen.“ (Rosenheimer Erklärung).

3. Fazit
Die Beratungspraxis vor und nach pränataler Diagnostik muss verbessert werden. Die Mitglieder des UA verweisen auf einen möglichen Interessenkonflikt des Arztes, der darin bestehen kann, dass er sowohl die Diagnose erstellt, als auch berät, als auch ggf. einen Schwangerschaftsabbruch vornimmt. Unter diesen Bedingungen kann u.E. die Ergebnisoffenheit des Beratungsprozesses nicht immer garantiert werden. Deshalb fordern wir eine zusätzliche verpflichtende Beratung an einer unabhängigen zweiten Stelle. Dafür brauchen keine neuen Strukturen geschaffen zu werden. Die bereits vorhandenen unabhängigen Schwangerschaftsberatungsstellen haben die nötige psychosoziale Kompetenz, um die ärztliche Beratung zu ergänzen. Analog zur Regelung für den Schwangerschaftsabbruch innerhalb der 12-Wochenfrist soll deshalb auch für mögliche Spätabbrüche gelten
1. Diagnosestellung/Beratung durch den Arzt und Hinweispflicht des Arztes auf weitere Beratung.
2. Beratung bei einer zweiten Stelle.

Auch die psychosoziale Beratung muss für die Schwangere kostenfrei sein. Dabei geht es – soweit noch keine Diagnostik erfolgt ist – um das Für und Wider einer vorgeburtlichen genetischen Diagnostik, um die Risiken einer Untersuchung und die Bedeutung eines positiven Befundes für die Betroffenen. Nach geltendem Recht ist der Hinweis auf eine Krankheit bzw. Behinderung des Kindes (embryopathischer Befund vorgeburtlicher Diagnostik) keine Begründung für einen straffreien Abbruch. Die Indikation bezieht sich vielmehr auf die Mutter, auf ihre körperliche bzw. psychische Belastung. In der Beratung sollte von daher auch deutlich werden, dass das Leben mit einem behinderten Kind eine Bereicherung sein kann und welche gesellschaftlichen Möglichkeiten zur Hilfe bestehen. Aus Sicht mancher Paare bzw. schwangerer Frauen mag eine zusätzliche Beratung zunächst als Belastung empfunden werden. Tatsächlich machen Paare und Schwangere aber immer wieder die Erfahrung, dass beide, die ärztliche und eine psychosoziale Beratung, sie bei ihrer schwierigen Entscheidung unterstützen und helfen kann, die Entscheidung zu verarbeiten. Aufgrund der Tragweite der zu treffenden Entscheidung halten wir beide Beratungen für sehr notwendig.
Schwierige Entscheidungen brauchen aber auch Zeit. Deshalb setzen wir uns für die Einführung einer obligatorischen Bedenkzeit von 3 Tagen nach den Beratungen ein, sofern gegenwärtig keine erhebliche Gefahr für Leib und Leben der Schwangeren besteht. Erst danach soll die Indikation zum Abbruch der Schwangerschaft festgestellt werden können.

Vorschläge zur Umsetzung der Beratungspflicht durch eine zweite Stelle:
 Die Einrichtung oder der behandelnde Arzt, die behandelnde Ärztin sind zu verpflichten, über das Angebot psychosozialer Beratung zu informieren.

 Die Information über das Beratungsangebot sollte adressatengerecht und in leicht verständlicher Weise erfolgen. Zur Erarbeitung einer geeigneten Information ist es sinnvoll, mit Beratungsanbietern zusammen zu arbeiten.

 Es bietet sich an, die Beratung in örtlicher Nähe zur diagnostischen Einrichtung anzusiedeln, um die Zugangsschwelle möglichst niedrig zu machen und eine gute Kommunikationsstruktur zu gewährleisten.

 Psychosoziale Beratung muss institutionell unabhängig von der Einrichtung geschehen, an der die diagnostische Maßnahme oder der Schwangerschaftsabbruch vorgenommen wird. Um dies zu gewährleisten, sollten die vorhandenen Beratungseinrichtungen Außenstellen in (der Nähe der) diagnostischen Zentren einrichten. Dadurch sind sowohl institutionelle Unabhängigkeit als auch örtliche Nähe gewährleistet.

 Psychosoziale Beratung muss ergebnisoffen sein.

Des Weiteren bedarf es einer strengen gesetzlichen Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen nach der 12. SSW. Die Bemühungen von Verbänden der Geburtshilfe und der Ärzteschaft, insbesondere die Praxis des Fetozid (gezielte Tötung des extrauterin bereits lebensfähigen Kindes im Mutterleib) einzudämmen oder ganz zu unterbinden, brauchen unsere Unterstützung. Insbesondere darf keine Ärztin, kein Arzt, kein Geburtshelfer oder Hebamme und keine Pflegekraft gegen ihr Gewissen zur Mitwirkung an einer solchen Handlung verpflichtet sein.
Grundsätzlich bleibt es bei der in der Rosenheimer Erklärung formulierten Position, die Mut zum Kind machen will und deshalb Kirche und Gesellschaft dazu aufruft, gerade auch für ein behindertes Kind Lebenschancen und Zukunftsperspektiven zu eröffnen und dazu frauen-, familien- und sozialpolitische Maßnahmen zu ergreifen: „Kinder sind Geschenk, Zeichen des Lebens und der Hoffnung. Gott, der Liebhaber des Lebens, will, dass wir als Anwälte des Lebens für den Schutz des geborenen und ungeborenen menschlichen Lebens alles uns Mögliche tun und so unseren Kindern eine Chance auf eine menschenwürdige Zukunft eröffnen.“

Zusammenfassung
Menschliches Leben ist uns von Gott gegeben. Es ist in jeder Phase zu bewahren und zu schützen. Jeder Schwangerschaftsabbruch ist Tötung menschlichen Lebens.

Die Pränataldiagnostik eröffnet neue Möglichkeiten und Grenzen, die in Verantwortung für das Leben immer wieder neu zu entscheiden sind. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, muss sichergestellt werden, dass vor und nach pränataldiagnostischen Untersuchungen und einer gesetzlich geschützten Bedenkzeit stets eine umfassende Aufklärung über deren Begründung, Folgen und Alternativen sowie eine umfassende psychosoziale Beratung über Verhaltensoptionen erfolgt.

Die medizinische Indikation nach der 12.SSW darf nicht als Ersatz für die embryopathische Indikation missbraucht werden. Das Angebot zur psychosozialen Beratung vor und nach Pränataldiagnostik muss von Kirche und Diakonie unterstützend gefördert werden. Arztpraxen und medizinische Einrichtungen, an denen Pränataldiagnostik praktiziert wird, sind verpflichtet, auf Angebot und Inhalt psychosozialer Beratung hinzuweisen.

Das Beratungsangebot muss ergebnisoffen sein. Es gilt, die Betroffenen über alle Handlungsmöglichkeiten sowie Hilfsangebote und Unterstützung zu informieren und zusammen mit ihnen Wege zu einer Entscheidung zu suchen. Dazu gehört der Hinweis auf das Recht auf Nichtwissen, also den bewussten Verzicht auf pränataldiagnostische Untersuchungen oder die Entscheidung für Pränataldiagnostik. Die Beratung bei einem eventuellen Abbruch der Schwangerschaft muss über Umstände und spätere Konsequenzen des Abbruchs informieren. In jedem Fall unterstützt die Beratung die Betroffenen auf ihrem Weg zu einer verantwortlichen Entscheidung und zur Gewissensprüfung. Sie hilft Betroffenen, mit den Folgen in Verantwortung vor Gott umzugehen und zu leben.

Die gesellschaftliche Verantwortung im Umgang mit behindertem Leben muss so angelegt sein, dass die Würde jedes einzelnen Menschen geachtet und geschützt werden kann.


Straubing, 27. November 2008